Multiprofessionelle Kooperation

von Antonia Lelle

Multiprofessionelle Kooperation wird in bistumsstrategischen Leitfäden, kirchenentwicklerischen Foren und praktischen Pilotprojekten als zukunftsträchtige Arbeitsform der Pastoralteams in der Territorialseelsorge gehandelt (vgl. u.a. Erzbischöfliches Ordinariat München 2019, 7; Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg 2017, 38). In den Blick genommen wird multiprofessionelle Zusammenarbeit in den Pfarreien einerseits angesichts des bevorstehenden Personalmangels an pastoralen Mitarbeitenden. Andererseits werden die veränderten Herausforderungen bspw. in der Netzwerkarbeit, Sozialraumarbeit oder im Seelsorgeangebot für Menschen in individualisierten, pluralisierten und digitalisierten Lebenswirklichkeiten in den zunehmend größeren Pfarreien als Anlass für multiprofessionelle Zusammenarbeit identifiziert (vgl. u.a. Erzbistum Freiburg 2020, 1, Bischöfliches Ordinariat Rottenburg 2020, 432).

Begriffsannäherung

Da der Sektor personenbezogener Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung und soziale Dienstleistungen) über wesentlich breitere empirische Befunde und theoriebildende Auseinandersetzungen zum Gegenstand der multiprofessionellen Kooperation verfügt als die Pastoraltheologie, lohnt es sich im Rahmen einer Begriffsannährung fremdzulernen. Eine erste Erkenntnis dieser Fremdlernperspektive lautet: Eine einheitliche Begriffsbestimmung lässt sich weder mit Blick auf die einzelnen Spezialkontexte des Fremdlernbereichs finden, noch lässt sich ein Metadiskurs ausmachen, der die kontextspezifischen Ergebnisse zum Thema in einem Begriffsschema vereint. Es handelt sich in den Worten von Atzeni et al. (2017, 17) „um einen geradezu notorisch schwammigen Begriff“, unter dem unterschiedliche programmatische Interessen vereint werden. Die einen verstehen unter Multiprofessionalität einen speziellen Kooperationstyp gemischt-professioneller Zusammenarbeit, der sich in Abgrenzung zur Inter- und Transprofessionalität – den beiden intensiveren Kooperationstypen – durch das Einhalten klassischer Berufsgrenzen und wenig Abstimmungs- und Austauschanlässe auszeichnet (vgl. Gerber und Rüefli 2021, 9; Schmitz 2021, 357). Andere verwenden Multiprofessionalität und Interprofessionalität synonym als Überbegriff, unter dem sich verschiedene Kooperationstypen, auch die intensiveren, subsummieren lassen (vgl. Sottas und Kissmann 2015, 7). Für die pastoraltheologische Beschäftigung mit dem Gegenstand bietet es sich an, aufgrund ihrer größeren Kompatibilität mit dem in der pastoralen Praxis (erhoben in meinem laufenden, noch nicht veröffentlichten Dissertationsprojekt) vorfindbaren Begriffsverständnis die letztere Begriffsverwendung grundzulegen. Aus dieser ergeben sich für das Begriffspaar „multiprofessionelle Kooperation“ folgende Konturen:

Grundgelegt werden kann zunächst zur Klärung des Begriffs Kooperation die organisationspsychologische Definition von Erika Spieß:

„Kooperation ist gekennzeichnet durch den Bezug auf andere, auf gemeinsam zu erreichende Ziele bzw. Aufgaben, sie ist intentional, kommunikativ und bedarf des Vertrauens.“ (Spieß 2004, 1999)

Mit dieser Definition sind zentrale Bedingungen von Kooperation markiert, gleichzeitig lässt sie eine strukturelle Offenheit bzw. eine Varianz hinsichtlich der damit umgesetzten Kooperationsintensitäten zu. Die in der Definition noch offen gelassene Frage nach den Akteur*innen der Zusammenarbeit findet ihren kleinsten gemeinsamen definitorischen Nenner in den Ausführungen von Speck et al. (vgl. 2011, 73), die betonen, dass der Begriffszusatz multiprofessionell in den Fachdiskursen in der Regel das Vorhandensein von mindestens zwei unterschiedlichen Berufsgruppen (i. d. R. synonym verwendet zu Professionen (vgl. Bauer 2013, 164)) in einer Kooperationsaktivität bezeichnet. Für den kirchlichen Kontext gilt es an dieser Stelle, eine Präzisierung vorzunehmen: Während nach der Definition von Speck et al. klassische Pastoralteams bestehend aus Gemeindereferent*innen, Pastoralreferent*innen, Diakonen und Priestern bereits als multiprofessionelles Team zu bezeichnen wären, ist in den kirchenpolitischen und bistumsstrategischen Diskussionen erst dann von multiprofessioneller Kooperation die Rede, wenn das klassisch besetzte Pastoralteam um mindestens eine weitere, nicht theologische Profession bzw. Berufsgruppe (z.B. pädagogisches oder sozialarbeiterisches Fachpersonal, Kommunikationsberater*innen, Kirchenmusiker*innen, Organisationsentwickler*innen etc.) ergänzt wird (vgl. Reintgen 2016). 

In der praktischen Ausgestaltung von multiprofessioneller Kooperation in der pastoralen Praxis lassen sich analog zur Unterscheidung im Fremdlernkontext verschiedene Kooperationstypen identifizieren. Diese unterscheiden sich hinsichtlich Intensität der Zusammenarbeit, Kommunikationsaufwand, Stabilität der Berufsgrenzen, Entscheidungsdynamiken sowie ihrer Funktionen. Mithilfe der Unterscheidungskategorien der Fremdlernkontexte lassen sich diese Typen rekonstruieren als multiprofessionelle Kooperation,

  • die sich koordinativ verdichtet: Die Professionen agieren weitestgehend in ihren klassischen Berufsrollen, die habitualisierten Handlungsmuster und Abläufe greifen ohne intensive Absprachen organisch ineinander, Deutungshoheiten von Leitprofessionen bleiben gewahrt; in der pastoralen Praxis ergeben sich koordinative Verdichtungsanlässe z. B. angesichts der sich immer stärker ausdifferenzierenden Aufgabenfelder in den XXL-Pfarreien.
  • die sichprojekthaft verdichtet: Die Kooperationsaktivität ist geprägt durch eine erhöhte Abstimmungs- und Koordinierungsnotwendigkeit; regelmäßige Austauschformate, bspw. runde Tische, werden initiiert, in denen eine gemeinsame Problemsicht sowie gemeinsame Entscheidungen ermöglicht werden; Professionsgrenzen werden anerkannt, aber teilweise auch überschritten; in der pastoralen Praxis z. B. vorzufinden bei der Durchführung sozialraumorientierter Angebote.
  • die sichko-kreativ verdichtet: Hier stehen komplexe personenbezogene Fragestellungen im Fokus; Zuständigkeitsbereiche sind weniger eindeutig geklärt, die Beteiligten gelangen an die Grenzen ihres Anwendungswissens und versuchen, über das Zusammenlegen ihrer Perspektive neues Anwendungswissen zu generieren, klassischen Hierarchien wird eine nachgeordnete Rolle beigemessen (vgl. Atzeni 2017, 25f.; Gerber und Rüefli 2021, 9f.); veranlasst in der Territorialseelsorge bspw. angesichts der Aufgabe, Menschen in individualisierten und pluralisierten Lebenskontexten ganzheitliche Seelsorge zu ermöglichen.

Chancen und Herausforderungen in pastoraltheologischer Perspektive

Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist eine situations- und kontextabhängige Arbeitsform, die auf spezifische – vom Normalfall abweichende (vgl. Schmitz 2021, 8) – komplexe Herausforderungen koordinativer, projekthafter oder ko-kreativer Art professionell(er) reagieren kann. Neben diesen anlassbezogenen Vorteilen zeigen erste empirische Befunde analog zu den Ergebnissen aus den Fremdlernbereichen an, dass die multiprofessionellen Kooperationsaktivitäten sich häufig auch positiv auf die Arbeitszufriedenheit der beteiligten Akteur*innen auswirken und für die Pfarreien in der Regel eine Erweiterung ihres Kooperationsnetzwerks sowie Handlungsfeldes bedeuten.

Multiprofessionelle Zusammenarbeit in Pastoralteams ermöglicht allerdings nicht nur für zahlreiche Anlässe eine professionell(er)e Lösung, sondern stellt die Praxiskontexte auf strategisch-politischer, organisatorischer und individueller Ebene auch vor neue Herausforderungen und stellt zudem alte Herausforderungen neu scharf, bspw. Unklarheiten in Rollenkonfigurationen der theologischen Berufsgruppen, in Kommunikationsabläufen, im Aufgaben- und Zielverständnis von Pfarreien, berufsgruppenspezifische Grabenkämpfe etc. Um das Potential, das multiprofessionelles Arbeiten in der Territorialseelsorge nachweislich mit sich bringen kann, auszuschöpfen, gilt es, auf den genannten Ebenen die Gelingensbedingungen und Störfaktoren dieser Arbeitsform wahrzunehmen (vgl. Lelle und Schendel, 2021, 154f.) und entsprechende Infrastrukturen, Leitbilder sowie Weiterbildungs- und Begleitangebote zu initiieren.

In den hier skizzierten Konturen und Herausforderungen multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Territorialseelsorge deutet sich bereits an, dass die gemischtprofessionelle Arbeitsform weniger als strukturgebende und mehr als kulturprägende, kirchenentwicklerische Maßnahme an pastoraltheologischer Relevanz gewinnt (vgl. Lelle und Schendel, 2021, 160), stellt sie nämlich die Praxiskontexte neu vor die Frage: Wozu und für bzw. mit wem sind wir Kirche? 

Literatur

Atzeni, Gina/Schmitz, Christoph/Berchthold, Peter (2017). Die Praxis gelingender interprofessioneller Zusammenarbeit. Swiss Academies Reports 12.

Bauer, Petra (2013). Multiprofessionelle Kooperation und institutionelle Vernetzung an der (Ganztages-)Schule. In: Thorsten Bohl/Sibylle Meissner (Hg.). Expertise Gemeinschaftsschule. Forschungsergebnisse und Handlungsempfehlungen für Baden-Württemberg. Weinheim, Beltz, 161–176.

Bischöfliches Ordinariat Rottenburg (Hg.) (2020). Kirchliches Amtsblatt Rottenburg-Stuttgart Nr. 11. Rottenburg. Bischöfliches Ordinariat Rottenburg.  

Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg (Hg.) (2017). Diözesane Leitlinien. Freiburg. Erzbischöfliches Ordinariat.

Erzbistum Freiburg (Hg.) (2020). Eckpunkte für die Implementierung multiprofessioneller Teams in der Erzdiözese Freiburg. Erzbischöfliches Ordinariat.

Erzbischöfliches Ordinariat München (Hg) (2019). „Quo vadis, Erzdiözese?“ Entwicklung einer Personalstrategie im Kontext einer zukunftsorientierten Pastoral. Online verfügbar unter: https://www.erzbistum-muenchen.de/cms-media/media-45730420.pdf (abgerufen am 13.02.2023). 

Gerber, Michéle/Rüefli, Christian (2021). Definition des Begriffs „Interprofessionalität“ im Gesundheitswesen im Schweizer Kontext. Bern. Bundesamt für Gesundheit.

Lelle, Antonia/Gunther Schendel (2021). Multiprofessionelle Teams in Territorialseelsorge und Kirchengemeinde. Eine ökumenische Zusammenschau. ZPTh 41 (2), 143–161.

Reintgen, Frank (2016). Pastoralteam + X = Multi-Professionalität. Online verfügbar unter: https://www.futur2.org/article/pastoralteam-x-multi-professionalitaet/ (abgerufen am 13.02.2023).

Schmitz, Daniela/Schmohl, Tobias, Transprofessionalität (2021). In: Tobias Schmohl/Thorsten Philipp (Hg.), Handbuch Transdiziplinäre Didaktik, Bielefeld, Transcript, 357–368.

Sottas, Beat/Kissmann, Stefan (2015). Übersichtsstudie zu Nutzen und Wirksamkeit der interprofessionellen Praxis (IPP).  Online verfügbar unter: https://formative-works.ch/wp-content/uploads/2020/01/2016_2_Bericht-BAG-Best-Practice-IPE-IPP.pdf (abgerufen am 13.02.2023).

Speck, Karsten/Olk, Thomas/Böhm-Kasper, Oliver et al. (2011). Professionelle Kooperation unterschiedlicher Berufskulturen an Ganztagsschulen – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In: Karsten Speck et al. (Hg.). Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung. Studien zu multiprofessionellen Teams und sozialräumlicher Vernetzung. Weinheim, Beltz, 69-84.

Spieß, Erika (2004). Kooperation und Konflikt. In: Heinz Schuler (Hg.). Organisationspsychologie – Gruppe und Organisation, Bd. 4, Göttingen, Springer, 193–247.

Erstmals eingestellt am 12.06.2023 – zuletzt überarbeitet am 12.06.2023

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