von Dara Straub
Hybridität ist ein Grundbegriff Postkolonialer Theorien. Er dient dazu, Formen und Prozesse des Aufeinandertreffens von Kulturen auf eine Art zu fassen, die gegenseitigen Veränderungsprozessen, Nachahmungen und der Möglichkeit der Entstehung komplett neuer Verstrickungen Rechnung trägt. „Hybridität […] bezeichnet anders als in der Biologie keine neue Identität, die durch Verschmelzung oder Kreuzung entsteht, sondern (nach Homi Bhabha) eine soziale oder kulturelle Formation, die durch die Transformation von Machtverhältnissen zwischen verschiedenen Subjekten bedingt ist“ (Silber 2021, 247).
Hybridität liegt die Annahme zugrunde, dass bei einem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen oder Sozialeinheiten, denen verschiedene Identitäten zugeschrieben werden, keine klare Grenzziehung zwischen diesen vermeintlich verschiedenen Entitäten möglich ist. Vielmehr entstehe dabei immer eine gewisse Ambivalenz und ein gewisser Raum zwischen diesen beiden Subjekten. Das gilt auch für unterdrückerische Machtgefälle, weshalb dieser Zwischenraum zum Ort für subversive und kritische, manchmal spöttische Aneignungen der durch die Kolonialmacht auferlegten Sprache, Kultur, Religion, Pädagogik, Ökonomie etc. wird. Auch hegemoniale und koloniale Unterdrückung stellt damit keine absolute Macht dar. Vielmehr kommt die Begegnung verschiedener Kulturen und Kontexte als unabgeschlossen, verstrickt und spannungsreich in den Blick und wirdnicht als in sich abgeschlossene Dichotomie (Kolonialherr*innen/Kolonialisierte; Schwarz/Weiß; Aufgeklärte/Primitive)verstanden. Das Konzept der Hybridität geht demnach nicht davon aus, dass sich Kulturen als abgeschlossene Entitäten begegnen und dass es sich bei diesen Begegnungen um hauptsächlich äußerliche Verhältnisbestimmungen handelt, wie z.B. Unterdrückung, künstliche Implementierung und Übernahme der einen in die andere Kultur etc. Auf eine einfache Formel gebracht, ist das Konzept der Hybridität ein Schutzkonzept vor Essentialisierungen auf jeglicher Ebene: kulturell, anthropologisch, epistemologisch, historisch etc. Theoretische und anwendungsbezogene Einordnung
Als einer der bekanntesten Vertreter des Konzeptes der Hybridität gilt der postkoloniale Denker Homi Bhabha (siehe dazu Bhabha 2007). Seiner Ansicht nach fokussierten sich andere postkoloniale Denker*innen zu sehr auf hegemoniale Macht und die damit einhergehende unterschiedlich bewertete Handlungsmacht kolonialer Subjekte; was wiederum die Verfestigung solcher Dichotomien, wie Kolonialisator*innen/Kolonialisierte; Schwarz/Weiß; Europa/Rest der Welt essentialisiere und reproduziere. Derartige Essentialisierungen stabilisierten abermals kolonialistische und imperiale Rettungs- und Erziehungsvorstellungen. Im Unterschied dazu soll durch das Konzept der Hybridität eine Form des Widerstandes gegen die hegemoniale Macht benannt werden, die nicht in direkter Auflehnung oder Konfrontation besteht, sondern die durch die Entstehung von Ambivalenz die hegemoniale Macht erschüttert und somit den kolonialen Diskurs verändert (Castro Varela, María do Mar und Dhawan 2015, 248–249). Das stellt sich so dar, dass bei dem Versuch der vermeintlich dominierenden Kultur, der unterdrückten Kultur einen bestimmten Text (Bhabha verwendet die Bibel als Beispiel), ein bestimmtes Narrativ, eine bestimmte Tradition, aufzuerlegen, diese wiederum völlig neue Fragen an diese Narrative, Traditionen, Texte stellt, sie hinterfragt, sich zu eigen macht, umformt, verspottet etc. Durch den Transformationsprozess einer Hybridisierung wird das absolut gesetzte Herrschernarrativ aufgebrochen und die Epistemologien, Texte, Narrative, Traditionen etc. der als minderwertig degradierten Kultur werden Teil eines größeren, ambivalenten, komplexeren Narratives. Die komplexen Verstrickungen imperialer Ausbeutungssysteme lassen sich nur erfassen, wenn man diese intrinsische Logik hegemonialer Machtsysteme in den Blick nimmt (Castro Varela und Dhawan 2015, 245–247).
Hybridität kann als Konzept für eine gerechtere und ethischere Politik dienen, da es die Möglichkeit für Erkenntnis und Handeln stets in die diskursiven Aushandlungsprozesse im Begegnungsraum zweier Machtsubjekte stellt. Allerdings identifiziert die postkoloniale Theoretikerin Leela Gandhi Kants transzendentales Subjekt, das ideengeschichtlich prägend ist für unser Verständnis vom Zustandekommen von Erkenntnis und moralischem Handeln, als unvereinbar mit dem Konzept der Hybridität. Durch Kants Verständnis von Erkenntnisfähigkeit als einheitlich und a priori wird diese nicht durch empirische oder metaphysische Erfahrung gestört. Da die Verstrickungen konkreter Erfahrungen („the ‚empirical‘“) und die Sehnsucht nach dem Metaphysischen („the ‚metaphysical‘“) aus der Argumentation postkolonialer Theorien heraus als Manifestationen von Hybridität verstanden werden können, beschreibt Gandhi die kantianische Prägung der Ethik als einen „discourse against hybridity“ (Gandhi 2006, 117). Das zeige sich daran, dass im kantschen Sinne, die Kontingenz empirischer Erfahrung, vermittelt durch „das Andere“ der Welt, und metaphysischer Erfahrung basierend in Gott, keinerlei Einfluss auf die Abgeschlossenheit des moralischen Subjekts und damit keinerlei Einfluss auf Ethik, Politik und letztendlich Gerechtigkeit hätten (Gandhi 2006, 127). Durch das Anführen verschiedener Kritiken am kantschen Postulat zeigt Gandhi auf, inwiefern das ‚Empirische‘ und das ‚Metaphysische‘ durchaus Relevanz für „ethico-political“ Auseinandersetzungen haben, da sich in ihnen die menschliche Fähigkeit zu ethischem Handeln, informiert durch Intrasubjektivität, Pluralisierung und Selbst-Reflexion, zeige (Gandhi 2006, 127–128).Bedeutung für die Pastoraltheologie
Mit Hilfe der Gedanken von Leela Gandhi lässt sich aufzeigen, dass das Konzept der Hybridität Einfluss auf den Kern der Frage nach Erkenntnis hat und unmittelbar mit praktischen Konsequenzen verbunden ist. Im Zuge der Entwicklung hin zu mehr Kontextualität in pastoraltheologischer Forschung stellt Hybridität eine kritische Anfrage an die Zugänge zu pastoraltheologischer Forschung dar. Sie berücksichtigt, dass auch „Kontextualität“ als Reflexionsgröße jeweils ein Konstrukt ist und sich von daher der eine Kontext meist nicht messerscharf von anderen Kontexten abgrenzen lässt. Hybridität dient somit dazu, Referenzsysteme und Praktiken auf eine kritische Art und Weise zu reflektieren, um Essentialisierungen und allzu simple Kategorisierungen zu vermeiden. Bewegungen und Debatten, wie die BlackLives Matter-Bewegung und die #metoo-Bewegung, aber auch das ständige Ringen um eine angemessene Auseinandersetzung mit sexuellem und spirituellem Missbrauch in der katholischen Kirche, machen deutlich, inwiefern das Verschleiern (oder schlichtweg Nicht-Reflektieren und Ignorieren) hybrider Situationen, Geschichten und Kulturen gewisse (Menschen-)bilder, Selbstverständnisse, Verhaltensweisen und Narrative als absolut und damit als implizite oder explizite „Norm“ konstruieren. Geht man davon aus, dass auch religiöse Narrative als kolonialisierende Projekte gelesen werden können, kann das Konzept der Hybridität in der Praktischen Theologie dazu beitragen, die Pluralität, die Verstrickungen und die Komplexität verschiedener weltanschaulicher Narrative in ihren potentiell befreienden oder gewaltvollen Wirkungen zu erkennen und zu hinterfragen.
Literatur
Bhabha, Homi K. (2007). Die Verortung der Kultur. Tübingen, Stauffenburg-Verl.
Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita (2015). Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Online verfügbar unter https://rds-tue.ibs-bw.de/link?kid=1690918330 (abgerufen am 08.03.2023).
Gandhi, Leela (2006). Affective Communities. Anticolonial Thought Fin-de-Siècle Radicalism and the Politics of Friendship. Online verfügbar unter https://rds-tue.ibs-bw.de/link?kid=1742789943 (abgerufen am 08.03.2023)
Silber, Stefan (2021). Postkoloniale Theologien. Eine Einführung. Tübingen, Narr Francke Attempo.
Erstmals eingestellt am 30.03.2023 – zuletzt überarbeitet am 30.03.2023