von Julia Hahn
Der Begriff des Festes und damit einhergehende Fest-Theorien und -Theologien sind vor allem durch Josef Piepers Werk „Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes“ (1963) in den Diskurs eingegangen. Das Fest gilt hier als die Unterbrechung des Alltags und nimmt dahingehend eine politische Bedeutung als Rebellion gegen das Alltägliche und als Ausstieg aus dem Alltag an. Für Pieper ist das Fest nicht Nicht-Arbeit, sondern ein Gegenbegriff zur „knechtlichen Arbeit“ (Pieper 1963, 21f.). Er hält das Fest deshalb in sich für „sinnvoll“ (Pieper 1963, 23). Laut Pieper haben Feste immer auch eine spirituelle Dimension. Er ist der Überzeugung, dass Feste ohne das Element der Kontemplation nicht funktionieren, immer eine heilige Zeit sind und profane Feste somit nicht möglich seien bzw. unvollständig blieben (vgl. Pieper 1963, 35; 56; 59). Feste nähmen dementsprechend eine transzendente Form an, indem der Mensch „die Schranken der zeitlich-hiesigen Existenz“ (Pieper 1963, 68) übersteige. Durch das Fest könne der Feiernde „die wahre Wirklichkeit der Welt [erkennen], so dass der Feiernde durch die Feier selbst darin gewiss wird“ (Neijenhuis 2012, 23).
Sowohl Piepers als auch Schleiermachers und Barths Festtheorie gelten als affirmativ, das heißt lebensbejahend. Lohnarbeit wird hier zunächst als grundsätzlich negativ angesehen. Dem Fest ist aber die Möglichkeit eingeschrieben, die Zustimmung zur Welt und damit auch eine positive Sicht auf den Alltag zurückzugewinnen. Bei allen drei lässt sich außerdem eine religiöse Zuschreibung des Festes finden. Während Pieper vor allem von einer persönlichen Transzendenzerfahrung spricht, setzt Schleiermacher den Gottesdienst mit dem Fest gleich und bezieht Barth sich auf die Einhaltung des Sabbatgebotes durch das Begehen von Festen (vgl. Neijenhuis 2012, 69f.).
Sigmund Freud dagegen entwickelte eine paroxystische, explizit vom Alltag abgekoppelte, Festtheorie. Diese meint einen Ausstieg aus dem Alltag, der zu einem Exzess führen kann, da alle Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Normen des alltäglichen Lebens ausgehebelt sind (vgl. Neijenhuis 2012, 17; 21; 28): „Das Fest als Suspendierung des Alltags scheint die einzige Norm zu sein, die noch gilt.“ (Neijenhuis 2012, 32)
Auch Babette Kirchner knüpft hier an und sieht das Fest als etwas, das hilft, mit dem Alltag fertig zu werden: „Das Fest zeichnet sich in dieser Sichtweise durch Vergessen, Eskapismus und absolute Befreiung aus der alltäglichen Existenz, ohne bewusste Reflexion darüber, aus.“ (Kirchner 2011, 20)
Weitere detaillierte, aber rekurrierend auf die bisher genannten, Festtheorien finden sich u.a. bei:
Roger Caillois (1913-1978): französischer Soziologie und Philosoph, der das Fest als Gemeinschaft stiftendes, soziales Phänomen, das kollektive Ekstase ermöglich, definiert;
Harvey Cox (*1929): amerikanischer Theologe, der das Fest im Kontext der modernen Gesellschaft als Möglichkeit der Transzendenz und Spiritualität bestimmt;
Gerhard Marcel Martin (*1942): deutscher Theologe, der Feste als sinnstiftende symbolische Handlungen mit der Möglichkeit zur Transzendenz charakterisiert;
und Friedrich Otto Bollnow (1903-1991): deutscher Philosoph und Pädagoge, der das Fest im Rahmen seines existenzphilosophischen Ansatzes als bedeutend für die Unterbrechung des Alltags beschreibt.
In der neueren Rezeption des Begriffes beansprucht Jan Assmann (1938-2024) zwar keine Neukonzeption einer Festtheorie, stellt das Fest aber „als Medium des kollektiven Gedächtnisses“ (Assmann 1991, 13) dar. Ausgehend vom Fest als dem „Ort des Anderen“ (ebd.), an dem der Alltag ausgeblendet wird, hat dort das aus dem Alltag Ausgeblendete Raum: „Die Feste müssen hier einen Ausgleich schaffen und Orte bereitstellen, in denen sich das im Alltag ausgeblendete »Andere« ereignen kann.“ (Assmann 1991, 15) Er stellt die Kontingenz des Alltags der Inszenierung des Festes gegenüber. Von Bedeutung ist für ihn ebenso die Efferveszenz (kollektive Emotionen durch gemeinschaftliche Rituale – nach Durkheim), die im Fest die Emotionen ermöglicht, die im Alltag hinderlich sind. „Das Fest intensiviert, was im Alltag reduziert wird, der Alltag wiederum braucht, was im Fest suspendiert wird.“ (Assmann 1991, 16) Assmann eröffnet mit der Darstellung von Alltag und Fest eine anthropologische Zweidimensionalität als „Leben in zwei Zeiten“ und verknüpft dies mit der Fähigkeit des Erinnerns und einer „Transzendierung des Alltags“ (Assmann 1991, 17).
Unterscheidung von Fest und Feier
Feiern unterscheiden sich zu Festen insofern als sie den Alltag, die Zeit und das Leben strukturieren, während Feste diese aufheben. Feiern heben ein bestimmtes Erlebnis des Alltags heraus, um dieses in passender Weise zu würdigen, und verfestigen dabei Traditionen und Werte. Sie haben dabei nicht nur fröhlichen Charakter, wie das Beispiel einer Trauerfeier zeigen kann. Das Fest hingegen bricht mit dem Alltag und löst Grenzen, Normen und Regeln auf (vgl. Hutzel 2018, 6f.). „So gesehen unterliegt selbst das Fest einer Regel, nämlich dass es von den Regeln befreit. Es herrscht also im Fest die Regel, regellos zu leben.“ (Neijenhuis 2012, 92)
Religiöse Feste und ihr Ursprung
Es lassen sich für die jeweiligen Religionsgemeinschaften bedeutende und individuell-religiöse (biografische) Feste und Feiern finden. Die Ursprünge jüdischer und christlicher Feste sind zumeist in biblischen Schriften zu finden. Als Beispiel jüdischer Feste können hier der Sabbat, das Pessachfest, Schawuot und Sukkot (Laubhüttenfest) genannt werden, die in den Büchern Moses explizit genannt und in ihrer jeweiligen Ausgestaltung beschrieben werden. Christliche Feste, die ihren Ursprung in der Bibel finden, sind u.a. das Weihnachtsfest durch die Geburt Jesu, Ostern durch die Auferstehung Jesu Christi und das Pfingstfest (Apg 2). Auch die muslimischen Feste Īd al-Fitr (Fest des Fastenbrechens) und Īd al-Adhā (Opferfest) gehen auf Suren im Koran zurück.
Event und Festivals
Als Fortschreibung der Begriffe „Fest“ und „Feier“ dienen in der Spätmoderne das Event und das Festival.
Events implizieren einen außeralltäglichen und außergewöhnlichen Erlebnischarakter, fordern Unterhaltung und Spaß und sind zumeist stark kommerzialisiert (vgl. Kirchner 2011, 23; Gebhardt 2000, 19). Sie sind damit sowohl ein „marketing-strategisches“ Angebot als auch konkret persönliches, meist einmaliges und „raumzeitlich abgegrenztes Erlebnis“ (Schmidt et.al. 2000 115, 117). Nach Neijenhuis steht in der Eventkultur – im Gegensatz zur Festkultur – das Subjektive im Vordergrund (vgl. Neijenhuis 2012, 43). Knoblauch hält dagegen, dass Events sowohl auf Gemeinschaft als auch „auf individualistische Selbstverwirklichung zielen“ und somit „inhaltlich paradox veranlagt sind“ (Knoblauch 2000, 53f.), was sich durch eine „relativ nachhaltige emotionale und/oder mentale Involviertheit“ ausdrücke (Hitzler 2000, 402f.).
Der Begriff „Festival“ meint „eine periodisch wiederkehrende Festveranstaltung“ (Kirchner 2011, 17f.) und unterscheidet sich damit von einer herkömmlichen Party, die zumeist einmalig und von kurzer Dauer ist. Kirchner beschreibt Festivalbesuche als kulturelle Praxis, die auch als psychische Existenzbewältigung dienen könne und eine „Funktion als Übergangsritual in einen anderen Zustand“ habe (vgl. Kirchner 2011, 29, 45, 126). Festivals erzeugen „eine situative Zugehörigkeit“ und erfordern damit „von den Teilnehmern entsprechende Zugehörigkeitsbezeugungen wie Embleme, Symbole und andere Zeichen.“ (Hutzel 2018, 11). Die Zugehörigkeit ist jedoch, anders als womöglich in der Feiergesellschaft bei einer Geburtstagsparty oder der Fronleichnamsprozession, frei gewählt. „Ein Mensch wird in den meisten Fällen nicht in eine Szene hineingeboren, sondern findet sie auf Grund persönlicher Interessen.“ (Hutzel 2018, 11). Neben Musikfestivals jeglicher Genres existieren ebenso Film-, Food-, Sportfestivals u.v.m.
Frei nach GS 1 symbolisieren Feste und Feiern sowohl das Verbindende als auch das Unterscheidende der „Menschen von heute“ und der „Jünger Christi“. Menschen feiern Feste, Feiern, gehen zu Events und auf Festivals. Diese Orte und Praktiken sind somit von besonderem Interesse für die Pastoraltheologie. Darüber hinaus weist das Themenfeld darauf hin, dass Feste und Feiern zentrale Ereignisse des Glaubens vergegenwärtigen und die (Glaubens-)Gemeinschaft stärken. Sie verbinden Liturgie und Gemeinschaftsbildung, strukturieren die Zeit und bieten Raum für die spirituelle Vertiefung. In einer säkularen Welt stellen sie mitunter eine Herausforderung, aber vor allem auch eine Chance dar, Riten und Praktiken theologisch zu deuten. Sie sind entscheidend sowohl für das Leben der Gläubigen und die Kirche als auch für alle andere Menschen, die eine Sehnsucht nach Alltagsausbruch, nach Strukturierung und Ritualisierung von Lebensgeschehnissen, Spiritualität, Transzendenz, Ekstase und Gemeinschaft haben, und dienen vielen zur Kontingenzbewältigung.
Literatur
Assmann, Jan; Sundermeier, Theo (Hg.), Das Fest und das Heilige. Kontrapunkte des Alltags, Studien zum Verstehen fremder Religionen 1, Gütersloh 1991, S. 13-30., https://d-nb.info/1231547677/34
Gebhardt, Winfried, Die Verszenung der Gesellschaft und die Eventisierung der Kultur. Kulturanalyse jenseits traditioneller Kulturwissenschaften und Cultural Studies, in: Göttlich, Udo; Gebhardt, Winfried; Albrecht, Clemens (Hrsg.), Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, Köln 2002, 287-305.
Gebhardt, Winfried, Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen, in: Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela, Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, 17-31.
Hitzler, Ronald, „Ein bißchen Spaß muß sein!“ Zur Konstruktion kultureller Erlebniswelten, in: Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela, Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, 401-412.
Hutzel, Alexander Philipp, Homo Festivus. Das Summer Breeze Open Air und seine Besucher, 2018.
Kirchner, Babette, Eventgemeinschaften. Das Fusion Festival und seine Besucher, Wiesbaden 2011.
Knoblauch, Hubert, Das strategische Ritual der kollektiven Einsamkeit. Zur Begrifflichkeit und Theorie des Events, in: Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela, Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, 33-50.
Leipold, Andreas, Die Feier der Kirchenfeste. Beitrag zu einer theologischen Festtheorie, Göttingen 2005.
Neijenhuis, Jörg, Feste und Feiern. Eine theologische Theorie, Leipzig 2012.
Pieper, Josef, Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes, München 1963.
Schmidt, Axel; Binder, Jana; Deppermann, Arnulf, Wie ein Event zum Event wird. Ein Snowboard-Contest im Erleben und in der kommunikativen Vergegenwärtigung Jugendlicher, in: Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela, Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen 2000, 115-133.
Erstmals eingestellt am 29.01.2025 – zuletzt überarbeitet am 29.01.2025