Communio

von Sebastian Kießig

Communio (lat. Gemeinschaft) bezeichnet ein Kirchenbild, das erstmals in der patristischen Theologie besprochen worden ist, im lehramtlich-theologischen Diskurs des 20. Jahrhunderts neue Relevanz erhalten hat und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) Gegenstand historischen, systematischen und praktischen Theologietreibens geworden ist.

Historischer Zugang

Der Begriff der communio ist in der Theologie der alten Kirche – und vor allem in den katholischen Ostkirchen in seinem Äquivalent κοινωνία – vielfach verwendet worden. Gemeinhin wird unter diesem eine grundlegende Gemeinschaft des Menschen mit dem dreifaltigen Schöpfergott verstanden, die in der gnadenhaft geschenkten Teilhabe des Gläubigen an der kirchlichen Gemeinschaft Ausdruck findet (vgl. Kasper, 19) In der Patristik formte sich in Anlehnung an das neutestamtliche Verständnis von Kirche ein Unterschied zwischen communio und κοινωνία heraus. Nunmehr vollzog sich in den Sakramenten die Kirche im eigentlichen Sinn als Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen, wodurch die Gläubigen in der Gemeinschaft der Heiligen (communio sanctorum) in der um den Bischof versammelten Ortskirche (communio ecclesiae) entsteht. Communio stand nunmehr für eine Gemeinschaft des Menschen mit dem dreifaltigen Schöpfergott im Ausdruck konkreten kirchlichen Lebens einer Ortskirche. (vgl. Drumm, 1280f.)

Kirchlich-lehramtlicher Zugang

Das Zweite Vatikanische Konzil hat an den Begriff der communio wie auch an dessen Begriffsgenese mit Verweis auf die alte Kirche in der Konstitution Lumen gentium angeknüpft (LG 2). Der Konzilstext, der insgesamt 57-mal den Terminus der „Gemeinschaft“ verwendet, spezifiziert diesen zweifach in seiner lateinischen Fassung. Communio steht für eine hierarchische Gemeinschaft mit einem horizontalen als auch vertikalen Bezug zwischen Haupt und Gliedern. In die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, jener Konstitution über die Kirche in der modernen Welt, findet der Begriff communio allerdings keinen Eingang.

Im nachsynodalen Schreiben Exeunte coetu secundo aus dem Jahre 1985 mit dem Thema „Die Kirche unter dem Wort Gottes feiert die Geheimnisse Christi zum Heil der Welt“ – anlässlich des 20. Jahrestages des Abschlusses des letzten Konzils – wurden die Ausführungen zum communio-Begriff, die als zentrale und grundlegende Idee der Konzilsdokumente benannt werden, spezifiziert: Unter diesem versteht man einerseits eine Horizontalität, in der die Taufe den Eintritt in die Gemeinschaft markiert und das Volk Gottes sich im Worte Gottes sowie der Teilnahme an den Sakramenten mit dem trinitarischen Gott verbindet. In der Vertikalität andererseits drückt sich in der communio-Ekklesiologie die rechte Beziehung zwischen Einheit und Vielfalt in der Kirche aus, indem die Verbindung des Volkes Gottes mit Petrus und seinen Nachfolgern – somit die Verbindung der Menschen untereinander – die Vorwegnahme der vollen Einheit darstellt. Die Kirche ist dabei nicht selbst schon vollendete communio an sich, sondern in deren Wirken wird sie zu einer solchen. Damit wird diese communio zu einer sakramentalen Grundlage von Kollegialität, die „eine vermittelnde Beziehungseinheit aussagt, welche Differenzen bleibend zugleich voraussetzt wie aufhebt“ (vgl. Greshake, 97) und zugleich mehr sein soll als eine effizienzorientierte und organisatorische Prozessabfolge. Eine Kollegialität in der communio zeichnet sich in einer Seele der Zusammenarbeit aus, die ein Miteinander in unterschiedlichen Formaten prägt (vgl. Exeunte coetu secundo, 2.3). Der synodale Text präzisiert dabei ein Verständnis von Zusammenarbeit nicht.

Im Jahr 1993 ist es zu einem theologisch vielfach wahrgenommen Disput um die Auslegung der Formulierung Ecclesia in et ex Ecclesiis gekommen (LG 23). Die Glaubenskongregation legte eine recht verstandene communio im Schreiben Communionis notio (= CN) derart aus, dass die „Gesamtkirche nicht als die Summe der Teilkirchen aufgefasst […] und ebenso wenig als Zusammenschluss von Teilkirchen verstanden werden könne“ (CN 9). Anlass dieses Schreibens sind – aus Sicht der Kongregation – Theologien gewesen, die der Beziehung zwischen der Kirche als communio und als Sakrament (horizontale Dimension) zu wenig Bedeutung beigemessen haben (vgl. CN 1). Dieser lehramtlichen Auslegung folgt – v.a. in der deutschsprachigen Theologie – vielseitige Kritik, die sich im Vorwurf Hermann Josef Pottmeyers einer einseitig jurisdiktionell-zentralistischen Ekklesiologie zugespitzt hat (vgl. Pottmeyer, 583). In einem in den Jahren 1993/1994 in der IKaZ veröffentlichtem Briefwechsel zwischen Joseph Ratzinger und Walter Kasper sind wesentliche, gegenseitige theologische Argumente ob einer möglichen Vorrangstellung Roms vor allen Universalkirchen ausgetauscht worden. Im Kern geht es um die Frage, ob eine communio ecclesiae in der Universalkirche (Ratzinger) der einer Ortskirche (Kasper) vollverwirklicht ist.

Pastoraltheologische Rezeption

Die vielfache ekklesiologische Rezeption einer communio-Theologie hat auch in der Pastoraltheologie zu vielfältigen Besprechungen geführt. Herbert Haslinger bezeichnet das Konzept der communio als Orientierung für die weitere Kirchenentwicklung, welches die konträren Kirchenbilder Leib Christi und Volk Gottes verbinden könne (vgl. Haslinger, 322). Thomas Wienhardt entnimmt aus der communio einen kirchlichen Auftrag, aus dem sich praktische Wirk- und Handlungskriterien für die pastorale Qualität in Pfarreien entwickeln ließen (vgl. Wienhardt, 32f.). Jan Loffeld knüpft an ekklesiologische Konzeptionen an, indem er das Volk Gottes als eine gesandte communio verortet, welche Formen von Gemeinschaft im Volke Gottes wiederkehrend neu kultiviert und zugleich das Volk Gottes als Werkzeug und Zeichen für die Welt einordnet (vgl. Loffeld, 191f.). In der communio korreliert die doppelte Sendung im weltlichen Auftrag der Kirche: Eine geistliche Sendung in der Welt sichtbar werden zu lassen sowie die geistliche Sendung innerhalb der Kirche, konkret der Evangelisierung im Volke Gottes, zu leben. (Ebd., S.195-210) Diese – sowie weitere Rezeptionen – kumulieren in pastoraltheologisch zu besprechenden Wirkfeldern.

Die vielseitigen gegenwärtigen Diskurse um Synodalität, welche die seit dem Konzil präsente Frage des Verhältnisses von Klerikern zur Gesamtheit des Volkes Gottes inkludieren, zugleich international unterschiedliche Schwerpunktsetzungen haben, weisen ebenfalls implizit Fragestellungen von communio auf. Christian Bauer präzisierte hier, dass eine communio eucharistisch in stabilen Hierarchien von oben her entstehe, eine communitas des Volkes Gottes sich synodal eher von unten entwickle. Letztere Form stehe für eine zeitgemäße Wir-Bildung im Prozess. (vgl. Bauer, 20)

Ergänzend muss erwähnt sein, dass in der systematischen Theologie namhafte Theolog*innen die communio-Theologie kritisch besprachen: Johanna Rahner merkte an, dass als Zentrum zu sehr die communio hierarchica (Papsttum) gesehen wurde, an der sich alle zu orientieren haben. Sie fragt nach der Orientierung an der communio fidelium. (vgl. Rahner, 674)

Pastoraltheologische Wirkfelder

In der Gemeindepastoral hat der Diskurs um die Rezeption einer communio dazu geführt, dass der Zentralgedanke von Gemeinschaft in der Gemeindepastoral zu einem eigenständigen pastoraltheologischen Grundvollzug geworden ist (vgl. Zerfaß, 34f.). Dieser Impuls ist eine Ergänzung des von Ferdinand Klostermann vorgelegten Konzeptes zur Gemeindetheologie, die das dreifache Amt Christi zugrunde legt (vgl. Wollbold, 70).

Eine communio führt in der Konzeption der Gemeinde nicht nur zur Gemeinschaft von Menschen zusammen, sondern soll die Zuwendung Jesu zum Einzelnen wie zu einer Gruppe erfahrbar machen. Eucharistische, kerygmatische und therapeutische Ansätze bieten hierfür Praxiszugänge (vgl. Wollbold, 310f.).

Maria Widl impliziert eine Theologie der communio, indem sie diese in dem von ihr eingebrachten Vier-Pfarren-Modell verortet. Es gilt eine geistliche Ordnung der pastoralen Grundvollzüge (Gottesbegegnung, Gemeinschaft, Weltverantwortung), die das Volk Gottes als Heilssakrament (vgl. LG 48) identifiziert, in der Schöpfung erfahrbar zu machen (vgl. LG 9). Hierfür hat Widl vier Typen von Pfarreien (Pfarrerpfarre, Aktivistenpfarre, Verbindliche Gemeinde und Schöpferisches Netzwerk) charakterisiert: Elemente einer communio sind vor allem im Gemeindetyp der Verbindlichen Gemeinde und dem Schöpferischen Netzwerk präsent. (Widl, 50-56) Sebastian Kießig hat Veränderungsprozesse in der Struktur von Pfarrgemeinde sowie geistlichen Gemeinschaften untersucht. Dabei hat er eine Kriteriologie entwickelt, nach der eine sich verändernde pastorale Struktur eine Theologie der communio skizziert bzw. Anfragen an diese stellt (vgl. Kießig, 177-324).

Den genannten pastoraltheologischen Arbeiten liegt der präsente ekklesiologische Disput, um eine Verhältnisbestimmung zwischen horizontaler und vertikaler communio zugrunde. Pastoraltheologisches Wirken ringt folglich um Weltverantwortung, Gottesbegegnung und kirchliches Wirken, so dass weitere Impulse für eine Theologie der communio aus der Praxis erwartbar sind.

Literatur

Bauer, Christian (2024). Wer ist eigentlich WIR? Erkundungen zwischen hierarchischer Communio und synodalem Volk Gottes. In: ZPTh 2 (2024). S.13-23.

Communionis notio (= CN): Schreiben der Glaubenskongregation über einige Aspekte der Kirche als communio. In: AAS 85 (1993) 838-850

Exeunte coetu secundo: Schlussdokument zur II. Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode. 07. Dezember 1985. In: Der Apostolische Stuhl 1985. Città del Vaticano 1987. S.1863-1882.

Greshake, Gisbert: Communio – Schlüsselbegriff der Dogmatik. Gemeinsam Kirche sein. Freiburg i.Br. 1992. S.90-121.

Haslinger, Herbert (2015). Pastoraltheologie. Paderborn.

Kasper, Walter (2011). Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung. Freiburg i.Br.

Kießig, Sebastian (2018). Communio-Ekklesiopraxie. Katowice.

Loffeld, Jan (2011). Das andere Volk Gottes: Eine Pluralitätsherausforderung für die Pastoral. Würzburg.

Lumen gentium (=LG): Dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche. In: AAS 57 (1965) 6-64.

Pottmeyer, Hermann Josef (1992): Kirche als communio. Eine Reformidee aus unterschiedlichen Perspektiven. In. StZ 210, 579-589

Rahner, Johanna: Communio – Communio ecclesiarum – Communio hierarchica. Anmerkungen zu einer notwendigen theologischen Differenzierung des Communio-Begriffs. In: IkaZ 39 (2010) 665-679.

Wienhardt, Thomas (2017): Qualität in Pfarreien: Kriterien für eine wirkungsvolle Pastoral. Würzburg.

Widl, Maria (1997). Kleine Pastoraltheologie. Realistische Seelsorge. Graz.

Wollbold, Andreas (2004). Handbuch der Gemeindepastoral. Regensburg.

Zerfaß, Rolf (1985): Zur theologischen Begründung diakonischen Handelns. In: Deutscher Caritasverband (Hg.): Der ekklesiologische Ort der Diakonie. Zur gemeindebildenden Funktion und Bedeutung der Diakonie heute. Freiburg i.Br., 33-40.

Erstmals eingestellt am 13.04.2025 – zuletzt überarbeitet am 13.04.2025

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